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Liebeserklärung an das Leben


Sibylle Bergs Stück "Nur Nachts" begeisterte am 19. März in Kempten das Publikum und rührte zu mancher freudigen sowie bitteren Träne. Die wunderbar kurzweilige Aufführung endete mit einem aufschlussreichen Bargeflüster mit dem Ensemble des Schauspiels Nürnberg, das sich dabei ebenso angetan zeigte: Die Darsteller freuten sich, dass das Stück an diesem Abend auch im Kemptener Theater funktionierte, weil der berühmte Funke zwischen Darstellern und Zuschauern übergesprungen war.

Peter und Petra, beide Mitte vierzig, streunen als vom Leben ins Beziehungsabseits geschobene Singles durch unsere pärchenpolarisierte Alltagswelt - und sie lernen sich auf einer Stehparty kennen. In ihrer Selbsteinschätzung als "zwei Menschen mit gleich geringem Marktwert" eingestuft, entdecken der Werbegestalter und die in einer Exportfirma Angestellte sogleich potenzielles Glück aneinander und beschließen, es miteinander noch einmal in Sachen "Lebenserfüllung: Beziehung" zu versuchen. Das klingt im ersten Moment nach leichter Literatur von Kerstin Gier, stammt aber von der scharfzüngigen Schriftstellerin Sibylle Berg, die wie kaum eine andere Autorin Sehnsüchte und Ängste der Ü40-Generation zu beschreiben weiß. Damit aus dieser Geschichte kein pastellfarbenes französisches Wohlfühlkino wird, stellt ein übereifrig delegierender Einsatzleiter des allgemeinen Scheiterns - ein von Thomas L. Dietz überzeugend komisch dargebotener Teufel im Elvis-Kostüm - den beiden zwei spleenige Geister zur Seite. Sie sollen das lächerlich scheinende altneue Glück verhindern, indem sie in den Träumen des schon leicht lebensfaltengezeichneten Paares in spe die zugespitzten Schattenseiten des Zweisamseins aufleben lassen: Schreiende Kinder gleich im Doppelpack, Urlaub mit den Schwiegereltern samt Kriegserlebnissen, Pärchenabende zum Ausleben von Sozialneid, die Angst vor Alter und Tod. Die fahlen Geister sind dabei alles andre als farblos. Rebecca Kirchmann und Hartmut Neuber erwecken sie facettenreich zum Leben, ihre bissigen Kommentare lassen keine Lebenspanne aus.

Die Zuschauer lachen auch herzlich bei Rundum-Lebenserkenntnissen in Sätzen wie "Ich dachte immer, wenn man Kinder hat, muss man sich über den Sinn des Lebens keine Gedanken mehr machen." Oder: "Wenn wir netter zu unseren Kindern gewesen wären, könnten wir jetzt bei ihnen wohnen", die Elke Wollmann als Petra mit einer unglaublich amüsanten sowie subtilen Mimik darbietet. Manchmal wird das Publikum aber auch still. Beispielsweise wenn aus Peter (wundervoll intensiv gespielt von Thomas Nunner) herausbricht "Mein Gesicht ist voll von unzufriedenem Leben" - oder am Telefon die Frage stellt: "Ist es nicht besser, sich mit der Einsamkeit abzufinden?"

Obwohl spürbar abgerieben an Enttäuschungen, fiebern sie dennoch sechs Abende lang am Telefon dem Zusammenleben entgegen. In nachts eintretenden alkoholenttäuschten Träumen inszenieren die beiden Geister als Gegenmaßnahme immer wieder den Rundumschlag des Scheiterns - und scheitern zum Glück dabei. Das ist zum Loslachen ironisch und all diese Macken machen ja - seien wir mal ehrlich - unsere Lebenslandschaften trotz manchem Leid am Ende erst interessant. Auch Rückschläge gehören dazu, damit uns die Achtung vor der Welt nicht abhanden kommt. Wie wichtig dies der Regisseurin Schirin Khodadadian ist, verdeutlicht ihre gesamte Inszenierung: Ausgewogen, mit Raum für jedes noch so kleine Detail. Hier liebt jemand einfach heiß und innig die Menschen. In einer Traumszene vom Tod nach gemeinsamer Alterszeit fällt am Ende übrigens plötzlich der Satz: "Wir hätten uns öfter berühren sollen." Besser kann man den Sinn des Lebens nicht zum Ausdruck bringen.

01.04.2011, Christian Hof [für 0831, Ausgabe 04/2011]