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Zwischentöne


Frauen – sagt man – gehen zum Frisör, wenn eine Veränderung im Leben ansteht.[1] Solche Veränderungen haben oft mit aktueller Unzufriedenheit oder unabänderlichen Einschnitten zu tun und nicht selten schwingen diese persönlichen Befindlichkeiten als Untertöne in den Alltagsthemen mit, die während des Haarschnitts ausgetauscht werden. Die innere Motivation für den neuen Look ist also unterschwellig in den vordergründig banalen Unterhaltungen präsent und nirgends werden so viele Geschichten erzählt wie beim Friseur: hinter vorgehaltener Hand oder offen, Vertrauliches genauso wie Klatsch und Tratsch.[2] Nicht ohne Grund ist dieses Bild in unzähligen Filmen und Fernsehserien präsent.
 
Mit der bewussten Wahl eines Schönheits- und Friseursalons für ihre aktuelle Ausstellung "Zwischentöne" dringt Renate Bühr mit ihren Bildern in eine ungewöhnliche Umgebung ein, in der sich Sehnsüchte in Selbstbewusstsein wandeln, in der Seelenspiegel die eigene Stilbildung prägen. Diese Ausstellungsidee erweist sich bei näherer Betrachtung als absolut stimmig, denn die neuen Bilder der bereits mehrfach ausgezeichneten Malerin reagieren inhaltlich perfekt auf diese doch merkwürdige Situation. Es handelt sich um Übermalungen älterer Bilder und Collagen, die in ihrer ursprünglichen Form bereits mehrfach ausgestellt waren. Renate Bühr verwendet diese Bilder aber nicht als auszulöschenden Malgrund, sondern versteht die ursprüngliche künstlerische Aussage als eine mit verschiedenen Vergangenheiten behaftete Grundierung, die vom neuen Motiv in einen bildlichen aber auch zeitlichen Dialog gezwungen wird. Ähnlich wie der Stylist durch seinen Eingriff mit der Schere die visuelle Wirkung von Haut und Haar durch reduzierende Einschnitte verändert, greift Renate Bühr auf ihr bestehendes künstlerisches Ich zurück, um es in einer radikalen Umgestaltung neu auszurichten. Sie leitet damit keine neue Schaffensperiode ein, die in klassischer Manier auf der leeren Leinwand entsteht und sich somit zu vergangenen Werkprozessen addiert, sondern sie opfert in bewusster Auswahl frühere Werke, deren ursprüngliche Form somit unwiederbringlich verändert ist. Diese Vorgehensweise taucht bereits in den Ursprüngen ihres künstlerischen Ausdrucks auf, denn jede Idee beginnt als kleine, aquarellierte Skizze, die anschließend zur Collage ausformuliert und dabei überklebt wird.
 
In den aktuellen Übermalungen treten kräftige und grelle Farbmomente in den Vordergrund, Pastelltöne ursprünglicher Landschaften werden fast schonungslos in neue Bildeinheiten zerlegt. Die Bildumgebung wird plötzlich zum Lebensraum von fremd und verschlossen wirkenden Mädchen und Frauen, die sich wie die Odalisken klassischer Malerei vom Betrachter abzuwenden versuchen - oder wenden sie sich uns vielleicht doch zu? Soweit möglich werden dabei Collage und korrespondierendes Ölbild zugleich in einen neuen Bildausdruck gewandelt, die Künstlerin versucht, der ursprünglichen Idee des harmonischen Duetts treu zu bleiben. Die neuen, stilistischen Kontraste sind dabei aber alles andere als gefällig. In der verstörenden Wirkung der gegensätzlichen, von verschiedenen Lebensphasen geprägten Bildthemen spiegelt sich vielleicht sogar eine neue künstlerische Realität, bei der sich vergangene Sehnsüchte in ein radikaleres Selbstbewusstsein gewandelt haben. Die Veränderung ist spürbar präsent.
 
Für "Zwischentöne" geht Renate Bühr noch einen Schritt weiter. Während der regulären Geschäftszeiten treten die im Friseursalon ausgestellten Bilder zwar in den Hintergrund, obwohl die Künstlerin und ihre Motive sicherlich vereinzelt zum Thema von aktuellem Klatsch und Tratsch werden. Wenn aber an den Montagen während der Ausstellung Kämme und Scheren zur Ruhe kommen, Spiegel und Stühle leer bleiben, Klatsch und Tratsch verstummen, entfremdet sich der Salon zur stillen Kunstgalerie samt seinem Inventar als moderner Installation. Renate Bühr nutzt die Gelegenheit, sich mit dem Interieur künstlerisch auseinanderzusetzen und in Gegenwart der stummen Zeugen Spuren und Schichten jener vielen erzählten Geschichten zu entdecken, die bis heute in der Gesellschaft das Bild vom Frisör prägen - der montags eigentlich geschlossen hat.  (Christian Hof)
 
 
Renate Bühr - Zwischentöne
Malerei und Collagen
23. April - 7. Mai 2012
 

[1] WDR, frauTV, Mein Frisör und ich, 29.09.2011, 22.00 - 22.30 Uhr
[2] BR, Friseurgeschichten aus Franken, 21.06.2011, 17:00 bis 17:30 Uhr